11. April 2018, 13:05 Uhr
Weil es 1968 noch keine Universität in Bremen gab, hatten Schüler "die Last der Weltrevolution" zu tragen, erinnert sich Robert Bücking schmunzelnd. Der ehemalige Ortsamtsleiter Bremen-Mitte und heutige grüne Bürgerschaftsabgeordnete war einer von den Schülern, die bei den Bremer Straßenbahnunruhen oder den Vietnam-Protesten dabei war.
Robert Bücking
Die Straßenbahnproteste vom Januar 1968 gingen als Teil der Bremer 68er-Bewegung in die Annalen der Stadtgeschichte ein. Viele Schülerinnen und Schüler wehrten sich damals gegen die geplanten Fahrpreiserhöhungen der Bremer Straßenbahn und nahmen dies zum Anlass auch gegen die politischen Verhältnisse, gegen den Staat und seine Institutionen zu rebellieren. Robert Bücking war damals 15 Jahre alt.
Wie von Geisterhand werden Sie zum Zentrum der Stadt-Aufmerksamkeit. Es kommen Leute dazu, es werden mehr und mehr, die Polizei ist erschüttert, der Weser-Kurier berichtet darüber – und wir waren auf einmal so wichtig, so ungeheuer bedeutsam!
Bücking wuchs bei seiner liberalen, pädagogisch hochgebildeten und engagierten Mutter auf, der Vater war früh verstorben. "Sie hatte ganz viel Verständnis für mich", sagt der 65-Jährige, "mit ihr einen Streit um Freiheit anzufangen, wäre Quatsch gewesen". Aber seine Generation ging hart mit der Verarbeitung des Faschismus' ins Gericht, erinnert sich Robert Bücking. Gemeinschaft war wichtig, jegliche Art von Leistungswettbewerb und die Idee von Reichtum wurde abgelehnt, so Bücking. Heute kann er sich nicht mehr vorstellen, in einer solchen Gesellschaftsutopie zu leben.
Ich glaube, es wäre ein Horror, ehrlich gesagt: Wenn man sich das wirklich vorstellt... Diese naiven Ideen waren nicht dafür da, einfach verwirklicht zu werden. Die waren für uns Träume und Vorstellungen von Glück.
In den Siebziger Jahren wurde der Bremer dann Mitglied des Kommunistischen Bundes Westdeutschlands und hat sich als Teil des weltweiten großen Kampfes gegen den Kapitalismus gefühlt. Mit Frisuren, Kleidung und Sprache habe man sich damals in Figuren wie Leo Trotzki hereinfantasiert. Und "gesabbelt" habe man, "bis die Tischkante weich wurde".
Besonders angezogen waren wir von Leuten, die den größtmöglichen Schrecken für die bürgerliche Gesellschaft ausgelöst haben.
Am Ende, sagt Bücking, waren er und seine Genossen "Sektierer, kommunistische Kader, Leute, die den Menschen auf eine Art und Weise auf die Nerven gegangen sind".
Ich nehm's mir übel. Ich hatte immer die Freiheit, da auszutreten. (...) Und trotzdem betreibt man das sechs Jahre lang und zwar durchaus in der Blüte deiner Jahre.
Lange hatte Robert Bücking dann genug von Parteien. Als er Ortsamtsleiter in Bremen-Mitte wurde, war die Parteilosigkeit auch erst einmal ein Vorteil, fand er. Erst 2005 trat er den Grünen bei. 2015 dann die Kandidatur für die Bürgerschaftswahl in Bremen. Seine Partei setzte ihn auf einen chancenlosen Listenplatz 18, doch dank vieler Personenstimmen gelang dem beliebten Ex-Ortsamtsleiter der Einzug ins Landesparlament. Statt Kapitalismus-Kritik übt sich Robert Bücking als Sprecher für Wirtschaft, Bau und Stadtentwicklung heute darin, Investoren für die Bremer Innenstadt zu finden. Und was bleibt von 1968?
Da hat etwas begonnen, was bis heute gültig ist, nämlich das ganze Thema der persönlichen Freiheit. Dass es so selbstverständlich ist, dass man schwul oder lesbisch ist oder dass verschiedene Formen des Zusammenlebens möglich sind, dass Kinder auf andere Weise aufwachsen können. Ich glaube, das hat eine dicke Wurzel in dieser Zeit.
Das Gespräch zum Anhören:
"Weltrevolutionär" mit 15 – Grünen-Politiker Robert Bücking, [34:55]
Moderation: Stefan Pulß
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 11. April 2018, 13:05 Uhr
Wochenserie: Die 68er
Draufhauen! Draufhauen! Nachsetzen!
Die Bremer Straßenbahnunruhen vor 50 Jahren
Info: Zwei nach Eins
Gespräche mit Prominenten und Zeitzeugen aus Kultur, Politik und Wirtschaft.
Sendezeit:
Mo. - Fr., 13:05 - 14 Uhr
Archiv: Zwei nach Eins
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