1. Juli 2018, 9:38 Uhr
Auf den Bühnen in Bremen, Bremerhaven und Oldenburg gab es Erwartbares und Überraschendes zu sehen in dieser Spielzeit. Wir blicken auf die Höhepunkte und auch in die Zukunft.
Audio: Rückblick auf die Opern-Spielzeit in der Region
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Marcus Behrens hat viele Abende für Bremen Zwei im Theater verbracht – Ich habe in Oldenburg und in Bremerhaven je eine wirklich herausragende Inszenierung gesehen, also ein gut gemachtes, zeitkritisch-aktuelles Stück und in Bremen gab es einen Klassiker, der gut in die Gegenwart transportiert wurde: "Die Ratten" von Gerhard Hauptmann. Unser Kollege Stephan Cartier hat gesagt: "Drei Stunden, die sich wirklich lohnen!"
In Bremerhaven war es "Viel gut essen" von Sybille Berg im Kleinen Haus, ein Text, der es in dieser Zeit in der viele zwischen Angst und Neugierde leben, auf den Punkt trifft. Es wäre nicht Sybille Berg, würde die Neugierde nicht klar überwiegen – und es ist ein wichtiges Stück für Bremerhaven, wo unter den Bürgerinnen und Bürgern die Angst vermutlich überwiegt. Also die Angst vor dem – und vor den Fremden. In Zürich sitzt man bei diesem Stück in einem Publikum, das auf diese Welt draufschaut und sagt "Was schert mich das?", in Bremerhaven sitzt man mittendrin. Das ist schon ein großer Unterschied.
Blick auf die Schuspiel-Inszenierungen: Gespräch mit Marcus Behrens, [4:49]
Gespräch mit Marcus Behrens
Um ein ähnliches Thema dreht sich auch "Geächtet" von Ayhad Akhtar, das nun innerhalb weniger Jahre zum xten Mal in Deutscher Übersetzung inszeniert wurde – aber in Oldenburg ist aus meiner Sicht der Transfer endlich gelungen – eine großartige Inszenierung von Peter Hailer, die auch in der kommenden Spielzeit wieder aufgenommen werden soll: Die Geschichte vom Abendessen, das eine Ehe, mehrere Freundschaften und eine Karriere zerstört, weil die gegenseitigen unterschiedlichen Ansichten über Religionen nicht an einem Tisch Platz haben.
Es gab viele interessante und gute Inszenierungen – aber die eben genannten waren schon etwas Besonders! Es gab aber auch einige Enttäuschungen: Die größte war der – groß angekündigte – Abend über den Norddeutschen Lloyd in Bremerhaven: "Sterne schießen". Die Geschichte der über viele Jahrzehnte wichtigsten deutschen Reederei, die dann in den 1960er Jahren den Anschluss an die Zeit verpasst hat und von der Reederei Hapag in Hamburg geschluckt wurde. An dieser Reederei hängen gerade in Bremerhaven viele Schicksale und Geschichten. Aber vermutlich sollte man sich nicht zu sehr auf etwas freuen, wenn man nicht enttäuscht werden will?! Der Abend war eine Mischung aus boulevardesker Revue und misslungener Komödie – und das obwohl die Geschichten, die erzählt wurden, durchaus tragisch waren zum Teil. Die vom Stadttheater Bremerhaven beauftragte Autorin hat viele Menschen in Bremerhaven besucht, die bis 1970 für den Norddeutschen Lloyd gearbeitet haben – aber es ist dem inszenierenden Intendanten Ulrich Mokrusch nicht gelungen, daraus einen spannenden Abend zu machen – leider!
Auch enttäuscht war ich von den neuen Stücken im Theater am Leibnizplatz in Bremen – die nicht Shakespeare als Urheber oder zumindest Ideengeber hatten, sondern sich mit Bob Dylan – "Call me, Bob Dylan, please..." – und dem Karneval in New Orleans beschäftigten – "Bon Temps Roulez at the Shakespeare Café" – oder von Oscar Wilde verfasst wurden, wie "Das Bildnis des Dorian Gray". Das war mir alles zu beliebig und hatte zu wenig Tiefgang – und richtig komisch, was auch eine Option gewesen wäre, war es auch nicht. Ich wünsche mir, dass die Bremer Shakespeare Company sich wieder mehr auf Shakespeare selbst konzentriert – und seine großartigen Werke in die Gegenwart überführt oder aber die Bühne denen überlässt, die sich in ihren Stücken auf Shakespeare berufen, oder sich mit ihm auseinander setzen oder ihn neu verarbeiten. Dass da ganz viel geht, zeigt die Royal Shakespeare Company in England mit sehr vielen neuen Stücken, die aber alle ganz nah an Shakespeare dran sind. Am Leibnizplatz in Bremen ist auf der Bühne Platz für alles Mögliche, aber nur wenig davon überzeugt.
Ich bin nicht der Meinung, dass man ein Buch lesen muss, um ein Theaterstück verstehen oder einordnen zu können – Unterhaltung ist super und wichtig! Aber wenn ein Text oder ein Stück dazu anregen, auch auf dem Weg nach Hause und Zuhause und vielleicht sogar noch am nächsten Morgen darüber nachzudenken oder mit Freunden und Familie darüber zu reden und zu diskutieren, dann bin ich mit großen Augen und offenen Ohren dabei. Wenn ich also etwas auf der Bühne sehe, was ich mit in den Alltag nehmen kann und was meinen Alltag bereichert, weil ich es bisher nicht kannte, dann verlasse ich ein Theater sehr glücklich! Das funktioniert sowohl mit neuen Stücken, als auch mit neu inszenierten Klassikern, um das nochmals zu sagen.
Festivals sind da immer eine ganz willkommene Bereicherung des Theater“alltags“, weil es dann viele Stücke zu sehen gibt, die eben nicht auf den Spielplänen der Theater in unserer Region stehen – oder nicht einmal auf den Spielplänen der Theater in Deutschland. Das Festival "New Greek Wave" am Theater Bremen war ein gutes Beispiel dafür – und wenn es nach mir ginge, könnten unsere Städte und Theater noch ein paar mehr solcher Festivals gebrauchen. Ich bin mir sicher, dass dies auch für die Theatermacher hier in Bremen und Bremerhaven und Oldenburg viele Impulse bietet, die dann in eine interessantere Arbeit fließen. Kreativität befruchtet sich gegenseitig sehr gut. Nicht begeistern konnte mich das Programm im Oldenburger Theaterhafen zum Ende der Spielzeit, das auch etwas von einem Festival hatte und die in die Exerzierhalle ausgelagerte Produktion "Dokusoap. Episode 451".
Anmerkung: Dieses Manuskript war die Basis für ein Studio-Live-Gespräch auf Bremen Zwei. Der Wortlaut ist deshalb nicht identisch mit dem Audiomitschnitt.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 1. Juli 2018, 9:38 Uhr
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