Seit ihrem "Regenroman" von 1999 ist die Schriftstellerin Karen Duve bekannt für ihren lässig-lakonischen Erzählstil und für ihre starken Frauenfiguren, die allerdings bisher alle fiktiv waren. In ihrem neuen Buch steht eine reale Person im Mittelpunkt: die bedeutendste Dichterin des 19. Jahrhunderts, Annette Droste-Hülshoff. Katrin Krämer hat den Roman gelesen.
Karen Duve: Fräulein Nettes kurzer Sommer, Verlag Galiani-Berlin, 2018
Fräulein Nettes kurzer Sommer, [3:35]
Gespräch mit Katrin Krämer über das Buch.
Zunächst einmal: Danke, an den Galiani Verlag Berlin und an Karen Duve dafür, dass sie, gleich auf der ersten Doppelseite des Buchs den Stammbaum der weitverzweigten Familie der Annette von Droste-Hülshoff abgedruckt haben. Ohne den würde man nämlich schnell den Überblick über Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen verlieren. Die Angehörigen des westfälischen Adelsgeschlechts von Haxthausen sind in Annettes Leben nämlich ständig präsent. Sie verbringt viel Zeit auf den Schlössern und Gütern und dort hat man auch ein Auge auf sie. Sie ist ein wenig aus der Art geschlagen, immer kränklich und sehr kurzsichtig.
Annette streift alleine durch die Natur, liebt das Reisen, liest unaufhörlich und sie schreibt. Dass dieses Enfant terrible unverheiratet bleiben würde, war ja voraus zu sehen. Was kaum jemand ahnt: welche Faszination sie auf Männer ausübt. Ihre amourösen Abenteuer im Jahr 1820 mit dem Dichter Heinrich Straube und dem Adeligen August von Arnswaldt sind Annette von Droste-Hülshoff zum familiären und gesellschaftlichen Verhängnis geworden. Karen Duve hat sich aus den vielen Briefwechseln und der Forschungsliteratur über das Leben der Droste-Hülshoff vieles zusammengereimt:
Ich wollte eigentlich was ganz Kleines machen, so maximal 100 Seiten, und als ich dann anfing zu recherchieren habe ich gemerkt, dass es vielmehr gab, als ich mir je hätte vorstellen können. Und man konnte soviel zusammen puzzeln, dass die Frau mir richtig ans Herz gewachsen ist.
Karen Duve
Karen Duve gelingt es, ein pralles Tableau vivant, ein quicklebendiges Bild der Zeit zu entwerfen. Wir begegnen den Grimm-Brüdern, den Brentanos und dem Freiherrn Knigge, den Annette wissbegierig nach seinen Reisen ausfragt. Karen Duve wäre nicht Karen Duve, wenn sie sich nicht scharfzüngig an der Borniertheit der Herren gegenüber einer intelligenten und schriftstellerisch hochbegabten Frau abarbeiten würde.
Der Roman lässt sich auch noch als Parabel auf unsere Gegenwart lesen. Die Ängste vor den politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in diesen Jahren zwischen Revolutionen und Romantik, zwischen der Behaglichkeit des Biedermeier und den Vorboten des Vormärz sind allgegenwärtig.
Karen Duves Erzählton ist gewohnt leicht, geradezu süffig, oft gnadenlos komisch, aber trotzdem immer nah an der Zeit und den handelnden Personen. Ihr ist ein lehrreiches und unterhaltsames literarisches Meisterstück gelungen.
Infos:
Karen Duve: Fräulein Nettes kurzer Sommer, Galiani Verlag Berlin, 592 Seiten, 22 Euro. Das Hörbuch hat die Autorin selbst gelesen – erschienen im Tacheles Verlag
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 28. September 2018, 9:40 Uhr
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